Eine meiner Übungen im Umgang mit dem näher kommenden Tod besteht darin, mich wegzudenken aus den Szenen, in denen ich noch vorkomme, so zwar, als wäre ich kaum da gewesen. „Kaum“, denn es bleibt nur ein Hauch, der sich allmählich verzieht. Ich seh das heiter, klaglos jedenfalls. Denn niemals war es mein Bestreben gewesen, „jemand“ zu sein, was bedeutet hätte, ein Nachleben haben zu wollen - also einer Illusion nachzuleben auf etwas hin, das jenseits des Erfahrbaren liegt. Nicht, dass ich keine Illusionen gehabt hätte und noch hätte - aber schönere, gescheitere, solche, die aufs direkte Erleben bezogen sind und dieses mehren und veredeln. Stets habe ich in diesen Belangen die „insouciance“ (Blanchot) der „Sorge“ (Heidegger) vorgezogen, indem ich keine Anstrengung unterlassen habe, letztere, die sich immer wieder einstellt, immer wieder zu „dekonstruieren“.
Das Nachleben interessiert mich nicht. Es zu wollen, wird zudem immer unbedarfter angesichts der näher rückenden Perspektive der Weltvernichtung durch einen atomar geführten Weltkrieg oder ein Kippen des Klimas. Wenn ich mich aus meinen Szenen wegdenke, ist das erst eine Vorstufe des Verschwindens, wenn auch eine starke. Vollständig ist das Verschwinden dann, wenn die letzte Spur getilgt sein wird. Auch da rein lässt sich’s „vorlaufen“.
Stirbt jemand ganz naher, ist kein Denken und kein Schreiben - in der Nähe aber schon. Wo ein Herd des Fühlens und Strebens war, ist da, einen Schritt weit entfernt, ein Loch aufgerissen, das die übrige Gegenwart ansaugt und aufsaugt, sirrend durchsichtig werden lässt, und du bist mit drin in dieser Hinterlassenschaft des Toten, als ein Phantom unter Phantomen. So fühlen sich im ersten Schock der Nachricht die Weiterlebenden an. Als wär’ am Rand des aufgerissenen Lochs ihr Anspruch auf ein Recht zu leben nur noch ein Hohn.
Doch heilt die Zeit. Tage danach hat das Getriebe des Alltags die wunde Stelle überwuchert. Die Gegenwart ruht und kreist wieder in sich selbst. Und Feiern erinnern an das Verschwinden, das jetzt ein doppeltes ist - jenes der verstorbenen Person, und jenes ihres Verschwindens selbst.
Alles ist wieder da.