Letzthin geriet ich bei einem Treffen von Photographierenden in ein Gespräch mit einem emeritierten Professor für Biochemie über die Subjektivität von Geschmacksurteilen im Falle von Photographien sowie im Allgemeinen. Letztlich, meinte mein Gegenüber, seien alle ästhetischen Urteile subjektiv und deshalb unverbindlich bzw. beliebig, mithin auch solche über Photographien.
Nun sind ästhetische Urteile zweifellos subjektiv, die Frage ist nur, was das heisst, bzw., was unter „subjektiv“ zu verstehen ist. Angesichts der Vermassung und Übersozialisierung der mich umgebenden Gesellschaft ist in meinen Augen die Subjektivität in unseren Breitengraden heutzutage nichts anderes mehr als eine Art stärker oder schwächer ausgeprägter Blase an der Oberfläche eines unser Seelenleben grundierenden Teichs, in den von allen Richtungen die stimmungserzeugenden Strömungen des Kollektivs einfliessen. Da gibt es gewiss mannigfache Abschattungen, aber eben erkennbar solche von wirkungsmächtigen Grundströmungen. Wer dem zustimmt, muss auch zugeben, dass Subjektivität weder völlige Individualität noch gänzliche Beliebigkeit bedeutet. Vielmehr erscheint die aufs Individuelle reduzierte Subjektivität als ein meist masslos überschätzter kleiner Rest in einer vom gesellschaftlichen Umfeld massiv durchwirkten, ihrer selbst niemals habhaften Seele. Die urteilsrelevante Subjektivität ist das Ganze von kleiner Blase und grossem Teich in seinem Zusammenspiel. Erst so ist einsehbar, weshalb Moden der Wahrnehmung und des Photographierens den ästhetischen Raum einer grösseren Menge von Individuen eine Zeitlang beherrschen können und dann von anderen Moden abgelöst werden. Liest man Susan Sontags „On Photography“, sieht man seit Beginn der Geschichte der Photographie bis heute solche Moden vorüberziehen.