Ich schlage vor, die formale Aesthetik des Photos auf die existenzielle Bruchstelle zu beziehen, der die Bilder geschuldet sind: diejenige zwischen dem unreflektierten (Selbst-) Bewusstsein und dem reflektierten, dieser Bedingung der Möglichkeit des Entstehens der Szene. Denn erst im Schritt zurück vom Geschauten ins Reflexive, dieser Brechung des unmittelbaren Bezugs, dem die Szene entspringt, wird der Schauende des Geschauten und seiner selbst gewahr.
Die Bruchstelle erzeugt eine schmerzliche Sinn-Strömung, die wie die Grundwelle eines Teichs im Bild kreist, das voll Sehnsucht ist nach dem verlorenen unmittelbaren Anschaun der abgebildeten Szenerie.
In der Tat vollendet das Bild den Schritt zurück vom Geschauten, indem es dem Erscheinenden die Haut abzieht und diese auf einen technischen Träger aufpfropft. In dieser für das Bild konstitutiven Handlung wird die Szene aus dem Fluss des Erscheinenden ausgeschnitten, in ihren Konturen bestätigt und verstetigt, in einem Schnitt, der zur Narbe verdickt, die schmerzliche Erinnerung an die Wunde dieser Abtrennung bewahrt. Durch sie wird der Zeitstrom nicht einfach gestoppt, vielmehr fliesst er weiter, nun für immer im Bild gefangen. Zwar sind die Lebewesen und Dinge in der einen Szene auf ewig festgehalten, doch hören sie nicht auf, darin um einander zu kreisen. In dieser Dynamik ist der Aesthetik des Bildes ein Ort bereitet.
Der Blick folgt der Spur, die er sich immer schon vorausgeworfen hat, geleitet von den formalen Strukturen des Bildes, die ihm helfen, sich darin aufzuhalten und wie für immer einzurichten.
Das im Bild wieder ins Lot gebrachte, von den Unwuchten des Aus-Schnitts nachhaltig und nachwirkend erschütterte Gefüge seiner Elemente fängt den Blick ein, etwa nach der Regel des Drittelns des Bildes oder des goldenen Schnitts. Auch hilft ihm das Punctum, in der Bildströmung Halt zu finden und Orientierung. Abschattungen von Kontrast und Farbgebung verstärken und variieren je nach Dichte und Gehalt die Wahrnehmung der unterschwellig schmerzhaften Grundströmung. Die individuellen Formen und Gestalten der Lebewesen und Dinge gebärden mit mehr oder weniger Macht und Nachdruck die Szene, bekämpfen einander dabei oder suchen, in einander überzugehen, in einer Handlung, die nie zu einem Ende kommt, für immer im Ansatz festgehalten und in ihrer Dynamik eingefroren, in Erwartung weiterer Blicke, die sich im Bild verfangen, um dessen Handlung wieder und wieder anzufangen.
Schmerz versteinerte die Schwelle.
(Georg Trakl, Ein Winterabend).
Texte en français par ici.