Immer schon hat sich der Betrachter dem Geschauten entgegengeworfen, ist er uranfänglich im Bezug zu diesem gefangen. Mit dem Photo tritt er daraus einen Schritt zurück, holt er sich das Seinige aus diesem Bezug. Es ist eine Rückkehr zu einem Sich-Selbst, das es nur in diesem Zurück gibt, denn da erst eröffnet sich der Abstand zwischen dem Betrachtenden und dem Geschauten. Der Abstand gibt die Szene frei, die Lichtung ist und Abgrund zugleich.
Als die Spur der Hingeworfenheit zum Geschauten bezeugt das Photo dies Geschehen - in seiner Unterbrechung fixiertes Hingeworfensein, herausgegriffen von einem Selbst, das dadurch zur Welt gekommen ist, eine im Bild eingerahmte, wiedergespurte Spur, das ins Bild gesetzte und darin bezeugte Geschenk der Szene, Geschenk des Sich-Selbst und seines Aufenthalts. Da hinein schiesst nun alles: die Zeitlichkeit schiesslich und damit die schwer lastende Endlichkeit des Daseins.
Wenn ich mit meinen Walking-Stöcken im Bremgartenwald zu Bern unterwegs bin, als ein Automat auf meine Wege geschickt und wie blind der vorgezeichneten Route folgend, da tauche ich ein in eine Schicht des Bewusstseins, in der dieses „Ich“ noch keinen Namen hat, in der genau genommen noch niemand ist, nobody, ein Tier nur, das „seinem“ Instinkt folgt. Das „Ich“ ist eingeklammert, aufgehoben, in Latenz, ek-statisch der Umgebung hingegeben. In einem Schwung, der ins Unendliche geht.
Da kommt es vor, dass es wieder auftaucht, dieses Ich, dass es zur Welt kommt, die Szene sich öffnet vor den Augen des Betrachters, der jetzt auf sich zurückgeworfen ist. Ich halte an, greife zur Kamera, mache ein Photo. Dies Geschehen beinhaltet, wie gesagt, was Derrida das „Gift“ nennt: Geschenk und Gift: die Sprache, die Zeit, den Tod, das bewusste Leben, eben. Den Sturz aus dem Paradies.
In der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik wäre die Photographie auf der Seite Apolls, des Gottes des Lichts und der Individuation, der tierische Walk durch den Wald mit den Stöcken, also auf vier Beinen, auf Seiten Dionysos’, des Gottes des Rauschs.
Der Halt ruft nach dem Photo. Er ist der Augenblick, da die Ek-stase, die Hingeworfenheit, zu sich kommt, ein Selbst sich aufbaut oder wiederkehrt und sich anschickt, die Welt zu bewohnen:
Nun, je stofflicher und leuchtender die Szene sich darbietet, desto mehr lädt sie uns ein, sie zu bewohnen. In ihrer illuminierten Dichte eröffnet sie bei der Näherung weitere Szenen, bietet sie mannigfaltige Abschattungen ihres Erscheinens. Mit der Vergrösserung kommen neue Bilder ins Bild, und im gesteigerten, unerschöpflich scheinenden Potenzial seiner Gegenwart vernehmen wir die Verheissung noch nie gesehener Horizonte.
In diesem Austausch des Anderen und des Selbst, bei dem das Sich-Selbst sich als die, der Andere der oder des Anderen erfährt, nistet sich im pochenden Herzen die Erwartung eines anderen Selbst ein. Die Vorstellung dieses Anderen - ganz anders und doch ähnlich, da selbst wiederum auf sich und ein anderes Selbst bezogen - diese zunächst vage Vorstellung wird allmählich deutlicher, kristallisiert sich aus an der Erinnerung an ein Gesicht, eine Gestalt und durchherrscht schliesslich die träumende Seele. Ihr Zauber entfacht die Liebe, der hungrige Blick will mehr sehen und noch mehr, der entflammte Leib wirft sich dem anderen Wesen entgegen, dessen Kommen ihm verheissen ist, als ein Ereignis.
Das Photo hält die Bewegung an, fixiert das Geschehen, das bei der Betrachtung des Bildes wieder aufgenommen und fortgesetzt wird. Weit überlegen ist es dabei jenen Videos, welche servil einer ausserhalb ihrer stattfindenden Handlung folgen. Denn das geglückte Photo gibt das in ihm festgehaltene Geschehen in sich wieder in einem zweiten, dritten, vierten innigen Leben, das an ihm die Sehnsucht der Betrachtenden vollzieht, die es wieder und wieder mit ihrem Begehren bewohnen.
Texte français par ici.
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