17. Februar 2017
Fotografie: Szene und Welt.
Einstieg:
Dieses Foto zeigt einen Ausschnitt von Welt: eine Szene. Im
Foto ist die Welt versammelt und die übrige Welt weggelassen, ja genichtet (néantisé im Jargon Sartres): Es zeigt das Geschehen von Welt im Ausschnitt von Welt, Welt, wie sie sich ereignet.
Hinführende Erläuterung: Das Dorf, der Fluss, die Weide,
Himmel und Erde - sie kommunizieren miteinander im Geviert des
Bildes - in diesem Geviert, und sonst mit nichts. Alles läuft auf die Mitte zu,
alles ist, bezüglich dieser Mitte, am Rand. Die Mitte selbst ist eine blosse Spiegelung, kein Ding, kein “Gegenstand”. Die gegenstandslose Mitte versammelt die Lebewesen
und Dinge im Bild.
Bis dahin sind wir im gemeinsamen Bereich von Fotografie
und Malerei. Die Bereiche trennen sich da, wo auf der Seite der Malerei der Künstler wirkt, auf der Seite der Fotografie der Apparat. Im gemalten Bild wird strikt abgebildet, was der Künstler
gemalt hat, bis in alle stoffliche Tiefe hinein. Beim fotografierten Bild ergibt sich die abgebildete stoffliche Tiefe zwar auch aus der Handhabung des Fotografen, vor allem aber aus den
Eigenschaften des verwendeten Apparats. Das zeigt sich bei der Vergrösserung des fotografierten
Bildes. Das führt zu einer besonderen, später
noch zu erörternden Präsenz der weltkonstituierenden Elemente im Bild.
Malerei und Fotografie gehen ineins
beim Ausschnitthaften der Darbietung von Welt, sie gehen auseinander bei der Darbietung
der stofflichen
Tiefe des Bildes.
Abgrenzung gegenüber vorherrschenden Fotografie-Techniken. Anmerkung I.
Die gängige Fotografie-Technik
und -Mode stellt ein Lebewesen - Mensch oder Tier, auch in Gruppen -, oder Dinge und Konstellationen von alledem sowie Landschaften ins
Zentrum des Bildinteresses und arrangiert darum herum eine Inszenierung. Dieses Bildinteresse ist ein Abbildungsinteresse. Je perfekter bzw. origineller Abbildung und Inszenierung, desto
gelungener das Bild. Das Bildinteresse der weltausschnitthaften Fotografie hingegen ist ein Darbietungsinteresse. Dargeboten wird dabei, wenn man uns einen
von Martin
Heidegger geprägten Ausdruck gestattet, das
Welten von Welt, das wir oben als Geschehen von Welt thematisiert haben.
Es handelt sich hier m.E. um eine ganz nützliche
Unterscheidung, die freilich nicht immer durchzuhalten ist. Gerade nicht bei hochgeglückten Aufnahmen, bei denen das abgebildete Ding oder Lebewesen die Kraft entfaltet,
als formende
Form die Welt um sich herum zu gebärden,
statt nur als geformte
Form ins Umfeld eingebettet zu sein.
Evidenterweise ist ein solcher von der geglückten Aufnahme ermöglichter Zusammenfall vor allem auch bei Landschafts- und Architekturbildern gegeben, nicht zuletzt wegen der dabei
thematisierten Horizonte, denn der Horizont hat, wenn er thematisiert wird, den Aspekt eines
Randes der Welt, der das Innerweltliche auf ein Ausserweltliches bezieht -wie auch immer: im Sinne einer Abgrenzung oder im Gegenteil einer
Durchdringung etc.
Die blosse Abbildung kennt diese Dimension des Horizonts
bzw. der Differenz des Innerweltlichen und des Ausserweltlichen nicht. Sie ist deshalb z.B. nicht in der Lage, die transzendentale Obdachlosigkeit der Moderne und Postmoderne darzubieten. Die
blosse Abbildung kann hochprofessionell sein, hoch “ästhetisch” durchkomponiert, sie bleibt in allen Fällen
gedankenlos.
Die stoffliche Tiefe.
In der stofflichen Tiefe liegt die Darbietung des Lebens
des Bildes, seiner Lebensdichte. Ihre Darbietung der Lebensdichte ist ein Eigenes der Fotografie,
das sie völlig absetzt von der Malerei. Gewiss bietet auch die Malerei Lebensdichte dar, aber niemals in der Weise der Fotografie, denn die Lebensdichte des gemalten Bildes liegt ganz in der
Hand des Malers und seiner bewussten, also schon zum Vornhinein gesehenen, und damit stark limitierten stofflichen Tiefe, diejenige der Fotografie aber in der blinden Aufnahmestärke des
Apparats, die die stoffliche Tiefe erst im Nachhinein in einer Weise darbietet, die bei starken Apparaten weit über die Sehkraft des Betrachters hinausreicht und ein kreatives Hin und Her zwischen Gesamtschau und
Vergrösserung ins Einzelne ermöglicht,
das dem Sehen eine neue, zusätzliche Dimension schenkt, die auch der Papier-Fotografie vorenthalten ist - es sei denn, man verfüge über eine eigene Dunkelkammer und besitze
damit die Fähigkeit, Abzüge verschiedener Grösse anzufertigen, wie dies in der Anfangsszene des Filmes “Blow up” von Antonioni gezeigt wird. Wichtig dabei ist, dass kein
Bewusstsein zuvor die stoffliche Tiefe in ihrer je gegebenen besonderen Beschaffenheit ins Bild gelegt hat, sondern diese sich aus dem fertigen Bild heraus der Begegnung darbietet und so ihre
von sich her begegnende Stofflichkeit affirmiert.
Abgrenzung gegenüber vorherrschenden
Fotografie-Techniken. Anmerkung II.
Wie im Fall des
Ausschnitthaften (Darbietung
vs Abbildung) gilt auch im Falle der stofflichen Tiefe, dass die vorherrschenden Fotografie-Techniken gegenläufig arbeiten, indem sie die Stofflichkeit möglichst “glätten”. In der Tat lässt die professionelle oder
semi-professionelle Inszenierung von Lebewesen, Dingen, Konstellationen derselben, von Landschaften etc. nur gerade eine auf sie zugeschnittene Stofflichkeit zu, allenfalls noch originell
wirken sollende Imperfektionen. Untrügliche Begleiterscheinung solcher Fotos: Die Langeweile, die sich nach dem Betrachten von 10, 20 solcher Präparate einstellt.
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