Die Demokratie ist in Vielem mehr eine Forderung denn eine Realität, auch noch die direkteste, denn wichtige Steuerungsbereiche des Alltags fast Aller sind immer schon dem Einfluss der in ihr sich selbst bestimmen Wollenden entzogen und werden es wohl auch bleiben.
In der Tat hat noch kein Modell der total durchgreifenden Demokratisierung die dauerhafte Realisierung geschafft, und zwar nur schon deshalb, weil, wie leicht einzusehen ist, die verlässliche Verstetigung von Abläufen eine Conditio des Bestehens bzw. der Produktion und Reproduktion von Gesellschaften darstellt und diese Abläufe daher der jederzeitigen demokratischen Verfügbarkeit entzogen werden müssen. Generell kann für diesen Bereich neben der "Wirtschaft" der Titel „Verwaltung“ stehen, die auch in einer sogenannt „direkten“ Demokratie, wie sie die Schweiz für sich in Anspruch nimmt, kaum eine geringere Rolle spielt als anderswo. Das führt dann zu allerlei Formen der Notwehr, nachdem der Ruf nach Transparenz laut geworden ist. So werden etwa parlamentarische Kontrollen der Verwaltung eingeführt und Ähnliches. Die Tatsache bleibt.
Wir leben also immer nur in Teildemokratien, deren Funktionieren eine Grundtoleranz betreffend die entzogenen Bereiche voraussetzt. Solange grosse Mehrheiten eine solche Grundtoleranz an den Tag legen, verläuft das politische Leben entlang der üblichen Reibungslinien. Wenn allerdings wie heute in Zeiten der technologiebasierten Globalisierung immer grössere „demokratieblinde“ Bereiche entstehen, wird diese Toleranz strapaziert: Die europäischen Bevölkerungen haben sich in den letzten Jahrzehnten an ein Mass an Mitbestimmung gewöhnt, das mittlerweile offensichtlich signifikant unterschritten wird: Viele bis vor kurzem wenigstens dem Anschein nach noch einigermassen überschaubare Politikbereiche sind auf nationaler Ebene nicht mehr steuerbar, von der Sicherheit über die Energie und die Umwelt bis hin zur Bewältigung einer erst in Ansätzen erkennbaren Völkerwanderung, die aufgrund des Klimawandels noch ganz andere Ausmasse annehmen dürfte.
Supranationale Gebilde wie die Europäische Union sind da sozusagen Behelfe zur Steuerung, die allererst noch weiter entwickelt und verfeinert werden müssen. Dass im Falle der EU die frustrierten Massen sich nun daran machen, den Behelf einzureissen, statt auf dessen Verbesserung hinzuwirken, ist zwar verständlich, aber für deren Zukunftssicherung nicht hilfreich. Diesen Massen geht es nicht um die Demokratie als solche, das sieht man nur schon daran, dass ihre wortführenden Parteien, heissen sie nun SVP oder AfD, de facto auf ganz andere Politikformen abzielen: Es geht um den Rausch der symbolischen Teilhabe an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, und die darf, wie die Gefolgschaft gegenüber den genannten Parteien zeigt, durchaus autoritär sein, um es gelinde auszudrücken.
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