Aus dem Nachlass meiner Mutter, Gertrud Köppel, spätere Ottiger, ledige Beerli aus Moos bei Amriswil, die in der ersten Hälfte der 40er Jahre bei Fredo Scalabrin in Romanshorn in die Lehre ging.
Wie raffiniert war dieser Lehrmeister der Photographie? Hat meine Mutter als seine Lehrtochter die Mehrdeutigkeit, ja die innere Gegenwendigkeit seines Photographen-Spruchs bemerkt? Soll das Photo die Vergänglichkeit verbannen und vertreiben (conjurer et chasser) - oder fesseln und festhalten (fixer sur la pellicule)? Oder gar beides zugleich? Zu vermuten ist wohl das Erstere, aber in Wahrheit findet das Letztere statt. Die Sprache selbst hat da dem Meister wohl einen Streich gespielt, und meine Mutter wird sich dabei kaum aufgehalten haben.
Ins Bild gebannt werden das Vergehende und die Vergänglichkeit. Die Momentaufnahme hält die Erscheinung für spätere Zeiten fest und entlässt das Erscheinende ins Altern. Diese Ablösung des Erscheinenden von seiner Erscheinung ist das sich Zeigen des Vergehens selbst - in der vorweggenommenen Erinnerung. In dieser zeigt sich die Vergänglichkeit in der Reihe der Ablösungen des Erscheinenden von seiner jeweiligen Erscheinung, in ihr zeigen sich die Alterung, die Hinfälligkeit und das Verschwinden. Im Erinnerungsphoto wird mir mein Tod verkündet.
Das Zeige-Mäppchen von Fredo Scalabrin lag in einer Schachtel mit alten Familienphotos aus den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Alle abgelichteten Erwachsenen - damals "in der Mitte des Lebens" - sind verstorben. Den Erscheinungen auf den Photos ist das Leben abhanden gekommen. Dass es einmal da war, ist evident. Den Betrachter freilich, der es evoziert, fremdelt es an, denn es macht ihm seine Gegenwart auf eigentümliche Weise streitig: "Auch du lebenserfüllte Erscheinung wirst eines Tages nur noch auf einem Photo sein." Die Vergänglichkeit zieht ihn in ihren Bann.
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