Ein Think piece aus Maurice Blanchot, L'attente l'oubli, Gallimard 1962, p. 51. Übersetzung (PK) und Originaltext.
Übersetzung PK:
Seit wann hatte er zu warten begonnen? Seitdem er sich fürs Warten frei gemacht hatte durch die Preisgabe des Verlangens nach Einzelnem, bis hin zur Preisgabe des Verlangens nach dem Ende alles Seienden. Das Warten beginnt, wenn es nichts mehr zu erwarten gibt, nicht einmal mehr das Ende des Wartens. Das Warten will sein Erwartetes nicht kennen und zerstört es. Das Warten erwartet nichts.
Welches auch immer die Bedeutung des Gegenstandes des Wartens sein mag, dieser wird immer zurückgelassen in der unendlichen Bewegung des Wartens. Das Warten lässt alle Dinge gleichermassen bedeutungslos werden. Um auch nur das Geringste zu erwarten, verfügen wir über ein unendliches Reservoir des Wartens, das nicht erschöpft werden kann, wie es scheint.
„Das Warten tröstet nicht.“ - „Jene, die warten, müssen für nichts getröstet werden.“
Originaltext:
Depuis quand avait-il commencé d’attendre? Depuis qu’il s’était rendu libre pour l’attente en perdant le désir des choses particulières et jusqu’au désir de la fin des choses. L’attente commence quand il n’y a plus rien à attendre, ni même la fin de l’attente. L’attente ignore et détruit ce qu’elle attend. L’attente n’attend rien.
Quelle que soit l’importance de l’objet de l’attente, il est toujours infiniment dépassé par le mouvement de l’attente. L’attente rend toutes choses également vaines. Pour attendre la moindre chose, nous disposons d’une puissance infinie d’attendre qui semble ne pouvoir être épuisée.
„L’attente ne console pas.“ - „Ceux qui attendent n’ont à être consolés de rien.“¨
Kommentar:
Wenn wir von der Zeit reden, meinen wir meist entweder das Zeitliche, also Seiendes, das kommt und vergeht, oder wir meinen die physikalisch messbare Zeit. In l’attente l’oubli erschliesst sich die Zeit, die das Seiende kommen und vergehen lässt, aber von diesem verschieden ist. Das Warten bei Blanchot stellt diese Zeit frei, indem es sich vom Zeitlichen löst. Wir sind nun versucht, der Verständlichkeit halber dem, was sich so löst, einen erläuternden Begriff zu widmen, etwa „existenzielle Dimension“ oder „Grundbewegung“. „Bewegung“, „mouvement", sagt die Passage ja auch: für das Warten. Das wirkt in diesem fahlen Text schon etwas arg „plastisch“, sozusagen als ein Kontrast zu dem mit dem Warten implizit assoziierten Stillstand. Und da kommt nun mein Eingriff im Titel hinzu: Ich nenne diese unendliche Bewegung solche der Zeit, freigestellt von allem Zeitlichen im Warten, das auf nichts mehr wartet, sondern nur noch Zeit sein lässt, eben nicht, „vergehen“, denn nur das Zeitliche kommt und vergeht, die Zeit ist schiere unendliche Bewegung - im Stillstand, wenn man denn will.
Ich sehe kein Argument dagegen zu sagen, es handle sich hier um die existenziell erlebte physikalische Zeit, ich sehe aber auch kein Argument dafür. Das ist indifferent. Es geht hier um das freigestellte Phänomen („Depuis qu’il s’était rendu libre…“), bei dem es, jenseits des Zeitlichen, keinen Unterschied mehr macht zwischen Stillstand und Bewegung, die ja nicht mehr „fort von etwas“ „hin zu etwas anderem“ ist, sondern blosses Jenseits des Zeitlichen überhaupt, dieses ignorierend und zerstörend („L’attente ignore et détruit ce qu’elle attend.“).
„Wir“ (die hier Blanchot Lesenden) nehmen teil an einem Text, der sich selbst nicht genügt, denn er ist zwar, doch heisst ihn sein Autor andernorts „unmöglich" (écriture impossible). Noch viel weniger vermag dieser Kommentar zu genügen, gerade, wo er die Zeit, die im Text ungesagt bleibt, direkt ausspricht. Il faut donc que ce commentaire s’efface devant son texte qui, lui non plus, ne saurait se suffire, mais à un niveau supérieur de l’échec.
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